Reihe Zwielicht

IN DER „EDITION Freies LICHT-LEBEN“ – HORROR IM HIMMELREICH?

von Thomas Leuenberger

Manche mag es vielleicht verwundern, dass in der spirituell ausgerichteten «Edition Freies Licht-Leben» eine Reihe mit Schauergeschichten erscheint. Bei näherer Betrachtung sind hingegen diese Themenbereiche verwandt.

Schon als Kind hat mich die profane Alltagswelt eher erschreckt, während dem ich dem Übersinnlichen furchtlos entgegen getreten bin. Das Übersinnliche – losgelöst von seiner gebräuchlichen Definition – umfasst ein vielfältiges Spektrum von Phänomenen, die von erschreckend bis verzückend, grauenvoll bis selig machend reichen – mit nicht seltenen Überschneidungen. Der erscheinende Totengeist kann in seiner Melancholie durchaus eine Art Schönheit ausstrahlen, während die stereotype Ansage eines erscheinenden Engels meist «Fürchte dich nicht» lautet. Spirituelles und Schauriges haben also ihre Berührungspunkte und bei beidem geraten wir oft genug in Erklärungsnotstand. Hier in diesem Grenzgebiet wird es interessant und inspirierend.

Da ich mich stets als Forscher verstanden habe, haben mich immer beide Bereiche brennend interessiert. Das Konsultieren von Schauerfilmen, das Lesen ebensolcher Literatur, hat für mich oft den Charakter eines Abgleichs, nicht nur meines magischen und paraphysischen Wissens, sondern auch in Bezug meiner spirituellen Kenntnisse. Für mich also schliesst sich Horror und Religiosität nicht aus.

Der Westen hat, mit seiner nahöstlich spirituellen Prägung und der wirtschaftlich orientierten anglophonen Dominanz, die dunkle Seite des Daseins mehrheitlich abgespalten. Am Offensichtlichsten zeigt sich das in der Verdrängung des Todes. Er hat unvereinbare Gegensatzpaare Himmel/Hölle, Leben/Tod, gut/böse geschaffen, wovon die eine Seite übermässig glorifiziert und die andere stark angstbesetzt wurde. Aktuellstes Beispiel ist vielleicht der Festtag Allerseelen/Samhein. Statt der Toten in Liebe zu gedenken oder sie zum Feste zu laden, wird nun das sinnentleerte Horrorspektakel Halloween abgehalten.

Es ist nicht verwunderlich, dass mein Blick in andere Kulturräume geschweift ist. Die südamerikanische Literaturgattung ‚Magischer Realismus‘ hat mich in meiner Jugend stark geprägt. Später fand ich in der chinesisch-japanischen Geisteswelt jenes gute Einvernehmen zwischen den Reichen und den Gegensätzen, obgleich ich spirituell weiterhin in der nahöstlichen Mystik verwurzelt blieb. Nur, dass ich eben die dualen Zyklen in den vielgestaltigen Verschmelzungsformen des Tao-, Hindu-,  Shinto- und Buddhismus näher an der Realität erlebte.

Darin bedingen sich die auf- und abbauenden Kräfte, Ying und Yang, die furchterregenden und glückspendenden Gottheiten gegenseitig und erschienen in einer dualen, der Entropie unterworfenen Welt letztlich gleichrangig. Vor allem im ostasiatischen Raum sind Traditionen entstanden, die die Gegensätze behutsam miteinander verweben. Als prominentestes Beispiel sei hier die Geschichtensammlung des Pu Sung-Ling genannt wo Menschen, Tier-, Natur- und Totengeister oft in Eintracht miteinander leben und sogar Familienverbände gründen. Es ist insofern nur logisch, dass mir auch die japanische Schauer- und Animationsfilme zu geliebten Studienobjekten wurden.

Der fünfmonatige Japanaufenthalt 2013, aus dem ein Schauerzyklus von 28 Erzählungen* resultierte, aber auch meine neueren Novellen, legen Zeugnis davon ab, dass mir oft nicht das vordergründig Schreckliche wichtig ist, sondern seine Entschärfung und Integration. (Nicht selten sind es die, von Angst und Unwissen umtriebenen, Menschen die zu Horrorgestalten werden!)

Insofern habe ich als Westler einen ungewöhnlichen, aparten Lese-Weg beschritten, der mir aufgrund meiner Buchhändlerausbildung weit offen stand und der sich entsprechend in der exotischen Bestückung meiner Bibliothek (mit Exlibris: The Morning Owl Library) niedergeschlagen hat.

Thomas D.Leuenberger 2022

* «Die unsichtbaren Ströme»
Unheimliche Reiseerzählungen aus Japan
Reihe Zwielicht ­– Edition Freies Licht-Leben, 2023

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